Deutscher Logistik-Preis 2010 für die Nord Stream AG
Verleihung im Rahmen des 27. Deutschen Logistik-Kongresses
21. Oktober 2010 | Berlin | Die Nord Stream AG mit Sitz im schweizerischen Zug ist Trägerin des Deutschen Logistik-Preises 2010 der Bundesvereinigung Logistik (BVL). Die Jury zeichnete das Unternehmen für das Projekt „Die Logistik zur Pipeline“, d. h. die Logistik zur Nord Stream-Gaspipeline durch die Ostsee vom russischen Wyborg bis nach Lubmin bei Greifswald in Deutschland, aus. Die Preisverleihung erfolgte im Rahmen der Gala-Veranstaltung am Abend des ersten Tages des 27. Deutschen Logistik-Kongresses, der vom 20. bis 22. Oktober in Berlin stattfindet.
In seiner Laudatio fasste der Juryvorsitzende, Prof. Hans-Olaf Henkel, die Leistung zusammen: „Es handelt sich um ein Projekt von gigantischen Dimensionen. Riesige Mengen an Material waren auf dem Weltmarkt zu beschaffen und zu bewegen. Durch die Verlagerung von Produktionsschritten an den Anfang und das Ende der Großbaustelle wurden Materialflüsse minimiert. Durch Infrastrukturausbau in den Häfen konnten die Nutzung der Verkehrsträger optimiert und der Umschlag auf ein geringstmögliches Maß zurückgeführt werden. Kurze Wege reduzierten Baustellenverkehre. Es wurden Emissionen eingespart. Es wurden Methoden und Techniken aus anderen Industriebereichen intelligent adaptiert. Es gab null Fehler in der Materialversorgung und bislang keinen Montagestillstand. Es wurden Arbeitsplätze in strukturschwachen Regionen geschaffen, die sehr wahrscheinlich langfristig erhalten werden können, da sich nach Projektende andere große Aufträge anschließen. Hier gab es Mut zu ungewöhnlichen Entscheidungen und ein hohes Maß an Zielerreichung. Die Jury votierte mit großer Mehrheit: Das ist vorbildlich. Das ist preiswürdig.“
Der Preisträger
Die Nord Stream AG ist der jüngste Preisträger, der in der Liste der Logistik-Champions seit 1984 verzeichnet ist. Gegründet wurde die Nord Stream AG am 2. Dezember 2005 als Nordeuropäische Gasleitungs-Gesellschaft und wurde im Oktober 2006 umbenannt in Nord Stream AG. Gesellschafter von Nord Stream sind mit 51 Prozent die russische Gazprom, die BASF SE/Wintershall Holding GmbH und E.ON Ruhrgas mit je 15,5 Prozent, die niederländische Gasunie und die französische GDF Suez mit jeweils 9 Prozent der Anteile. Nach Inbetriebnahme der Pipeline wird Nord Stream diese betreiben.
Aufgabe der Nord Stream AG ist es, die Gaspipeline durch die Ostsee zu planen, zu bauen sowie zu betreiben und so die weltweit größten Erdgasvorkommen in Russland mit dem europäischen Gasleitungsnetz zu verbinden. Diese Pipeline besteht aus zwei parallelen Leitungen von jeweils 1.224 Kilometern Länge. Der erste Leitungsstrang mit einer Transportkapazität von rund 27,5 Milliarden Kubikmetern Erdgas pro Jahr soll 2011 in Betrieb gehen. Nach Fertigstellung des zweiten Leitungsstranges im Jahr 2012 soll die Transportkapazität auf rund 55 Milliarden Kubikmeter im Jahr verdoppelt werden. 55 Milliarden Kubikmeter, das sind rund ein Zehntel des heutigen Erdgasbedarfes der EU. Im Investitionsvolumen von 7,4 Milliarden Euro für den Bau der Pipeline ist ein Logistikbudget in Höhe von 650 Millionen Euro enthalten.
Das Volumen des Projektes
Für die zweimal 1.224 Kilometer lange Verlegetrasse sind zweimal 100.000 Rohrsegmente, durchschnittlich 12,2 m lang mit einem Außendurchmesser von rund 1,4 m, zu liefern. Das Gesamtgewicht des Stahls, aus dem diese Röhren im Kern bestehen, beträgt 2,2 Mio. Tonnen (1,6 Mio. t aus D; 0,5 Mio. t aus RUS; 0,1 Mio. t aus JAP). Mit Innen- und Außenbeschichtung als Korrosionsschutz sowie einem zusätzlichen Betonmantel werden daraus 4,6 Mio. Tonnen an Gewicht.
Mit Schwerbetonbeschichtung aus Zement (0,4 Mio. t aus Deutschland), Magnetit (1,45 Mio. t aus Schweden) und Sand/Split (0,4 Mio. t aus Norwegen und Finnland) zur sicheren Fixierung auf dem Meeresboden sind insgesamt 90 Mio. Tonnen Material mit allen Transporten und Handlingoperationen zu bewegen.
Die optimierte Supply Chain mit 30 beteiligten Firmen aus 10 Ländern erfordert eine maßgeschneiderte Baulogistik.
Die wesentlichen logistischen Fragen
- Reichen die Hafenkapazitäten? Reichen die Hafenflächen? 800 km Fertigwarenbestand sind zur „Systemfüllung“ erforderlich. Dafür sind Flächen von insgesamt 100-150 Hektar notwendig. 68 Häfen wurden als Standorte geprüft, aus diesen erst 18, dann neun, dann fünf final ausgewählt. Zusätzlich wurden 20 Außenlagerflächen definiert. Die Entscheidungen erfolgten nach ökologischen und ökonomischen Kriterien – nicht nach politischen Gesichtspunkten.
- Welcher Rohrhersteller liefert welche Rohre in welchem Beschichtungszustand wohin? Wer bringt wo wann welche Beschichtungen auf?
- Durch die Wahl welcher Standorte können die Transportwege optimiert werden?
Ein innovatives und mutiges Konzept
Statt der Nutzung bestehender Betonbeschichtungswerke in Norwegen und Schottland baute man zwei neue Produktionsstätten im finnischen Kotka und in Mukran auf Rügen. Dadurch konnten 60 Millionen Euro Transportaufwand eingespart werden.
Rohrlagerplätze wurden werksnah eingerichtet; zusätzliche Rohrlagerplätze gibt es heute in Hanko in Finnland, Slite auf Gotland und im schwedischen Karlskrona. Das ist die logistisch-geografisch optimale Lösung, aber es gab einige Hindernisse zu überwinden: Der Hafen Slite auf Gotland hat zu wenig Tiefgang, eine zu schmale Pier, ist zu wenig tragfähig, und hat zu wenig Lagerflächen für Systemfüllung.
Was tun? Aus der Automobilindustrie wurde für die 20 bis 30 Tonnen schweren Großrohre das Just-in-Time-Konzept adaptiert und zwar Ship-to-Ship: Aus Mukran seeseitig angelieferte Rohre werden in Slite direkt über die Pier auf ein gegenüber liegendes Transportschiff umgeschlagen. 55.000 Rohre gehen so im Direktumschlag über die Pier in Slite. Dies entspricht in etwa einem Viertel aller Rohrsegmente.
Durch dieses Logistikdesign ist jeder Punkt der Pipelinetrasse weniger als 100 Seemeilen entfernt vom nächsten Lagerplatz; alle Versorgungstouren hin und zurück sind innerhalb von 24 Stunden möglich. Es sind drei Spezial-Carrier im Einsatz. Zusätzlich wird auf den Verlegeschiffen ein Sicherheitsbestand vorgehalten, so dass es bei Ausfall eines Carriers nicht zu einem Abriss der Arbeiten kommt.
Hintergrund
Mit dem Deutschen Logistik-Preis zeichnet die BVL in der Praxis realisierte Logistik-Konzepte aus, die von Unternehmen aus Industrie, Handel und dem Dienstleistungssektor eingereicht werden können. In den von der Jury zu beurteilenden Unterlagen müssen die Entwicklung der Konzeption, die Implementierung und die Ergebnisse dargestellt werden. Der Praxisbezug ist entscheidend. Der Preis wird seit 1984 von der Bundesvereinigung Logistik vergeben. Preisträger der letzten fünf Jahre sind die Würth-Gruppe, Künzelsau (2009), die Deutsche Lufthansa AG gemeinsam mit der Fraport AG, Frankfurt (2008) die CLAAS KGaA mbH, Harsewinkel (2007) die Bosch und Siemens Hausgeräte GmbH, Fürth (2006) und die Kühne + Nagel International AG, Schindellegi (2005).